Rotenburg- Der Abschied von gestorbenen Menschen ist in der Regel für seine Nächsten, für Partner, für die Familie, für Freunde und Bekannte mit Schmerz und Trauer verbunden. Was aber ist in den Fällen, in denen bestattungspflichtige Angehörige sich nicht oder nicht rechtzeitig um die Bestattung kümmern oder sich niemand dazu verpflichtet fühlt? Dann sind „das Amt“, das Ordnungsamt im Rathaus, also die Allgemeinheit gefordert, Beisetzungen zu übernehmen. „Ordnungsbehördliche Bestattungen“ werden diese Beerdigungen im Amtsdeutsch spröde, ja, fast ein wenig herzlos genannt. Es gibt andere Wege und die werden seit einem Jahr in Rotenburg begangen. Wege, die für Verstorbene gelten, an die bisher wenig gedacht wurde.
Die Idee hatte Anita Wolf (72), langjähriges ehrenamtliches Mitglied des mobilen Hospizvereins „Fidelius“ in der Region Rotenburg. Sie schrieb an die Stadtverwaltung, an das zuständige Ordnungsamt und machte für den Hospizverein diesen Vorschlag: „Wir finden es traurig, dass verstorbene Menschen ohne jegliche Trauergemeinde einsam bestattet werden. So entstand im Rahmen unserer Ausbildung zum Trauerbegleiter und zur Trauerbegleiterin die Idee und das Bedürfnis, diesen einsamen Menschen die letzte Würde zu erweisen. Wir wissen lediglich den Namen und das Geburts- und Sterbedatum der/des Toten. Doch können wir uns vorstellen, das diese Menschen, wie wir alle, im Leben Wünsche, Hoffnungen und Träume hatten, vielleicht geliebt hatten und geliebt wurden.“
Weiter heißt es: „Jede und jeder Verstorbene hat es unserer Ansicht nach verdient, dass ihrer und seiner lebens- geschichtlichen Individualität gedacht wird.“
Die Verantwortlichen der Stadt, Bürgermeister Torsten Oestmann sowie Alina Brandes, die stellvertretende Leiterin des Ordnungsamtes und für die ordnungsamtlichen Bestattungen zuständig, waren von dem Vorschlag begeistert und stimmten der Zusammenarbeit mit dem Hospizverein gern zu. Inzwischen besteht die Kooperation seit bald einem Jahr.
Für die Organisation sind die beiden ehrenamtlichen Trauerbegleiterinnen Anita Wolf und Almuth Baack Bione zuständig. An ihrer Seite wirkt noch eine kleine Gruppe ehrenamtlicher Trauerbegleiter- innen mit. Anita Wolf: „Großen Stellenwert hat für uns die ehrenamtliche Arbeit als Team. Eine kleine Gruppe von Ehrenamtlichen wechselt sich ab, um mit dem Bestatter zusammen einen Abschied in Würde zu ermöglichen.“
Am frühen Donnerstagnachmittag trafen sich auf dem Waldfriedhof an der Freudenthalstraße diese ehrenamtlichen Mitglieder des Hospizvereins „Fidelius“: Anita Wolf und Almuth Baack Bione, mit Ursula Adam, Christa Reichmann und Verina Bork als Flötistin. Vor der Kapelle standen die beiden weißen Urnen mit der Asche der beiden Toten, vom Bestattungshaus Lehmann im Auftrag des Ordnungsamtes vom Krematorium Stendal (Sachsen-Anhalt) geholt. Dazu Kerzen und Blumenschmuck, den das Rotenburger Blumengeschäft „Zaubergarten“ regelmäßig spendet.
Beerdigt werden zwei Menschen, die in Rotenburg im August bzw. im Oktober dieses Jahres gestorben sind: ein 77- jähriger in Berlin geborener Mann und eine Frau, die in der Bergbaustadt Elbingerode im Landkreis Harz zur Welt kam und ebenfalls im Alter von 77 Jahren in Rotenburg gestorben ist. Zwei Menschen ohne Angehörige, ohne Freunde, ohne Bekannte. Niemand konnte gefunden werden, der für sie als „Zuständiger“ für die Bestattung in Frage kam. Die Kommune, die Stadt Rotenburg war jetzt zuständig. In sehr vielen Fällen gestaltete sich der Abschied der Betroffenen von dieser Welt sang- und klanglos, dafür möglichst preiswert und als bedrückende Notwendigkeit.
Die Gesamtkosten für eine ordnungsbehördliche Bestattung belaufen sich auf etwa 2000 Euro. Das ist jetzt in der Stadt Rotenburg und den Mitgliedsgemeinden Unterstedt, Mulmshorn, Waffensen und Borchel seit einem knappen halben Jahr anders geworden. Menschen, die hier sterben, bekommen ein letztes Geleit, wenn Verwandte und Freunde dies nicht tun können oder wollen. Ein Stück Menschlichkeit nach dem Willen der Stadt und des Hospizvereins „Fidelius“.
Circa 40 ordnungsbehördliche Bestattungen hat es in diesem Jahr nach Auskunft von Ordnungsamts-Mitarbeiterin Alina Brandes in der Stadt Rotenburg bisher gegeben. Menschen aus vielen Teilen Deutschlands, die zum Beispiel bei einem Verkehrsunfall in Rotenburg oder als Patienten im Krankenhaus verstarben. Für sie gestaltet das Team der Trauerbegleiter des Hospizvereins in Absprache mit dem Ordnungsamt eine Gedenkfeier.
Zehn schlichte, kurze, würdevolle Bestattungen dieser Art waren es bisher. An der Kapelle spricht zu Beginn und in Anwesenheit von ehrenamtlichen Trauerbegleiterinnen ein Vereinsmitglied vor dem letzten Geleit einige wenige Worte verbunden mit der Frage, wie es sein konnte, dass die oder der Tote nicht eingebunden sei in die Gesellschaft und keine nahen Menschen gehabt habe, die ihn umsorgten. Ein kurzer Satz ist die Antwort: „Wir wissen es nicht!“
Wenige Schritte sind es von der Kapelle zum anonymen Gräberfeld. Dort senkt der Bestatter die Urne in das vorbereitete Grab. Nachdem Flötistin Verina Bork ein Andante von John Rutter unter dem blauen Herbsthimmel gespielt hat, verabschiedet sich die kleine Trauergemeinde von den unbekannten Toten. Einen Grabstein und Blumenschmuck wird es später nicht mehr geben. bn
Zeitungsartikel und Fotos: Bonath